Quelle: golem.de
Aus dem Interview mit Alexander Alvaro, Vizepräsident des Europäischen Parlaments und iRights.info.
iRights.info: Müssen solche Verhandlungen künftig transparenter ablaufen?
Alvaro: Das steht außer Frage. Ich habe die EU-Kommission 2010 mit anderen EU-Abgeordneten aufgefordert, uns Zugang zu den Dokumenten zu gewähren. Nur Transparenz sorgt dafür, dass keine Legenden und Ängste entstehen. Dieser Verhandlungsprozess von Acta war desaströs.
Die Protagonisten aus dem Gremium wussten schon, warum diese die Verhandlungen aus dem erlauchten Zirkel möglichst lange geheim halten wollten.
iRights.info: Lobbycontrol kritisiert den Einfluss der Unterhaltungs- und Softwareindustrie auf die Verhandlungen. Augenscheinlich wurden deren Branchenvertreter im Gegensatz zur Öffentlichkeit über den Verhandlungsprozess unterrichtet. Gab es einen starken Lobbyeinfluss aus der Privatwirtschaft?
Alvaro: Bis zu dem Moment, als wir 2010 im EU-Parlament das Augenmerk auf Acta gelegt haben, hätte man das noch so sagen können. In dem Moment, in dem das Interesse des Parlaments an den Verhandlungen wuchs, ist der Lobbyeinfluss einzelner Branchen massiv zurückgedrängt worden. Das erkennt man daran, dass der ursprüngliche Text vom Februar 2010 noch Formulierungen enthielt, die kein vernünftiger Mensch hätte unterschreiben können. Sie wurden inzwischen rausgenommen. Der Text, den wir damals gesehen haben, legt den Schluss nahe, dass es eine sehr hohe Einflussnahme aus der Wirtschaft gab.
Und heute liegt der Text als Zeitbombe dar. Vieles ist vage und schwammig formuliert, was einer Beruhigungspille gleichkommt. Die grosse Problematik liegt unter anderem in den Bestimmungen des Artikel 36, dass nachträgliche Änderungen durch den ACTA-Ausschuss zulässt. Die Formulierungen, welcher kein vernünftiger Mensch unterschrieben hätte, könnten so wieder Einzug in ACTA finden.
iRights.info: Sie haben einen Faktencheck zum aktuellen Vertragstext ins Internet gestellt. Darin heißt es: “Bis zum Abschluss der Verhandlungen ist es der FDP im Europäischen Parlament gelungen, die EU-Kommission hinsichtlich der Gefahren der möglichen Einschränkung bürgerlicher Freiheiten zu überzeugen und die kritisierten Punkte aus dem Abkommen zu entfernen.” Würden Sie dem Abkommen jetzt zustimmen?
Alvaro: Ich halte die Prüfung durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) für ausgesprochen wichtig. Es muss tatsächlich so sein, dass die Vertragsparteien, also die Mitgliedstaaten und die EU durch das Abkommen nicht zu Gesetzesänderungen gezwungen werden. Das muss juristisch wasserdicht sein. Wir wollen nicht das böse Erwachen, dass wegen Acta etwas geändert werden muss. Ich glaube, der Europäische Gerichtshof könnte noch in diesem Jahr eine Prüfung vornehmen, so dass wir 2013 eine Entscheidung im Parlament treffen können. Es gibt auch keinen Grund zu besonderer Eile. Es wäre auch kein gutes gesetzgeberisches Handwerk, wenn man ein Abkommen verabschiedet, wenn nicht sicher ist, ob es mit bestehenden Rechtsvorschriften vereinbar ist.
ACTA wird ja genau deswegen geschaffen, weil die aktuellen Gesetze nicht die Interessen der Rechteverwerter widerspiegeln. Es braucht nicht viel Kombinationsgabe um erkennen zu können, dass über kurz oder lang die bestehenden Gesetzte angepasst werden müssen. Denn das ACTA lediglich eine “Wunschliste” der Rechteverwerter bleiben soll ist naiv.
iRights.info: In Ihrem Faktencheck heißt es bereits: “Das Abkommen enthält keine Punkte mehr, die die Freiheit des Internets einschränken”. Halten Sie die massive Kritik an Acta für verfehlt?
Alvaro: Wenn ich mir die Kritikpunkte anschaue, ist es schwer, sie tatsächlich am aktuellen Text des Abkommens fest zu machen. Ich kann durchaus verstehen, dass man sagt, es bestünde die Möglichkeit, die Intention hinter dem Abkommen aufzugreifen und dann bedenkliche Gesetzesinitiativen auf den Weg zu bringen. Aber selbst wenn das passiert, können die Parlamente dem einen Riegel vorschieben. Ich halte den Text rein sachlich nicht für schädlich. Die Intention dahinter muss man allerdings im Blick haben.
Es gibt viele Parlamentarier die Schwierigkeiten haben die abstrakte Materie und Komplexität des Internet zu verstehen. Dies ist kein Vorwurf an die Volksvertreter, denn wie ein Pilot sich nicht mit der Materie eines Anwalt auskennt, so kann dies auch für einen Parlamentarier bei Fragen zur digitalen Welt sein. Leider setzen viele Lobbygruppen genau an diesem Punkt an und versuchen dies auszunützen. ACTA wurde nicht deswegen vorerst auf Eis gelegt, weil die Parlamentarier die Gefahr erkannten, sondern weil es zu massiven Demonstrationen von ausserhalb gekommen ist.
Leider geht bei der ganzen Debatte um ACTA ein wenig vergessen, dass es hier nicht nur um die Wahrung der Rechteverwerter im Internet geht. Ein wichtiger Punkt ist auch der Markenschutz, z.B. bei Medikamenten. Es ist unmöglich, dass ein Patient welcher pro Monat 120 Dollar verdient, sich ein Medikament für 300 Dollar pro Monat leisten kann. Es ist also unentbehrlich für ein Grossteil der Menschheit, dass sie Zugang zu Medikamenten haben, welche sie auch bezahlen können. Mit ACTA wird dies versucht zu verhindern, denn diese Medikamente sind in der Regel Nachahmer Produkte, welche von den Herstellern nicht autorisiert worden sind.
Mir fehlt das Augenmass in ACTA, natürlich sollen Hersteller Markenschutz geniessen und natürlich brauchen Künstler für ihre Werke ein Schutzfrist. Die Paratenpartei.ch hat ein Positionspapier zum Thema Modernisierung des Urheberrechts auf ihrer Homepage veröffentlicht. Über Themen wie Dauer und die Art des Schutzes sollten wir diskutieren, denn wir leben im 21. Jahrhundert…